Die überwiegende Zahl mineralischer Rohstoffe und Konzentrate, Hilfsstoffe, landwirtschaftlicher und synthetischer disperser Feststoffprodukte wird in Partikelgrößen kleiner als 100 µm erzeugt. Diese feinen Pulver weisen eine Reihe recht problematischer Produkteigenschaften auf. Ihre interpartikulären Haftkräfte, insbesondere die Van-der-Waals-Kräfte, übersteigen die Gewichtskräfte um mehrere Größenordnungen. Die störungsfreie Handhabung dieser kohäsiven Produkte stellt daher ein großes Problem und eine wissenschaftlich-technische Herausforderung dar. Ihre physikalischen Eigenschaften, insbesondere die Fließfähigkeit, sind jedoch für viele Industriezweige der Erzeugung, Weiterverarbeitung, Anwendung und Verbrauch, beispielsweise in der Pharmaindustrie, Lebensmittelindustrie, chemischen Industrie oder im Maschinen- und Anlagenbau, besonders bedeutsam.
Eine seit Jahrzehnten häufig praktizierte Lösungsmöglichkeit besteht in der Anwen-dung von Schwingungen zur Vermeidung von Fließstörungen. Vorausgegangene Grundlagenuntersuchungen (Kollmann, 2002) mit einer modifizierten JENIKE-Scherzelle, die während des Schervorgangs mit Schwingungen beaufschlagt werden kann, zeigten, dass durch die Schwingungsanregung die minimale Öffnungsweite zur Vermeidung von Brückenbildung und die Wandreibung wesentlich vermindert werden können. Die auf der Grundlage derartiger Laboruntersuchungen ermittelten Daten mussten anschließend für die Auslegung und den Betrieb von Schwingtrichtern im technischen Maßstab überprüft werden.
Bei diesen Versuchen im Labor und im technischen Maßstab wurden die Frequenz, der Schwingweg, die Schwinggeschwindigkeit und die Beschleunigung der Schwingungen variiert und deren Einfluss auf das Fließverhalten bzw. den Materialfluss untersucht. Kernstück der Untersuchungen waren die Technikum-Siloversuche. Als Versuchsmaterial wurde Calcit MX10 (Fa. sh minerals) ausgewählt. Wegen der Eigenschaften dieses Kalksteinmehls (Steifigkeit, Dämpfungsmaß, Fließeigenschaften, Partikelhärte, Kontaktsteifigkeiten, Partikelgrößenverteilung) traten in den von den Firmen Zeppelin und Coperion Waeschle zur Verfügung gestellten Technikum-Siloanlagen die erwarteten Fließstörungen (Brückenbildung, Kanalbildung) auf. Um diese Fließstörungen zu vermeiden, wurden schwingende Austragtrichter eingesetzt. Dazu wurden zwei unterschiedliche geometrische Gestaltungsmöglichkeiten untersucht und zwar der Schäffer-Schwingauslauf und der WAM Vibrationsaustragsboden.
Das Dämpfungsverhalten und das Fließverhalten des Calcit MX10 wurden mittels der modifizierten JENIKE-Scherzelle im Labor untersucht. Das Fließverhalten von Schüttgütern unter Schwingungseinwirkung kann mit einem Modell von Roberts (1997) be-schrieben werden. Ausgehend von diesen Ergebnissen wurde das Fließ- und Austragverhalten des Calcit MX10 ergänzend gemäß der Modellvorstellungen zum Antwortverhalten hochdisperser Pulver von Kollmann (2002) und zum instationären Austragverhalten kohäsiver Pulver von Tomas (1991) beschrieben. Mit Hilfe der Technikum-Siloversuche wurde die Brauchbarkeit der drei Modellvorstellungen bewertet. Die maximale Schwinggeschwindigkeit erwies sich als der geeignete Parameter, um die Intensität und Wirkung der eingetragenen Schwingungen zu charakterisieren. Im technischen Maßstab korreliert der Austragmassenstrom mit der Schwinggeschwindigkeit. Ein signifikanter Einfluss der Schwingfrequenz konnte nicht ermittelt werden. Das Austragverhalten des Calcit MX10 kann durch das Modell zur Berechnung der Austraggeschwindigkeit (Tomas, 1991) am besten beschrieben werden.
Weitere Stoffsysteme sollten jedoch untersucht werden, um die Allgemeingültigkeit der Untersuchungsergebnisse zu belegen. Außerdem zeigen die Technikum-Siloversuche, dass ein pulsierender Betrieb der Schwingtrichter unerwünschte Verfestigungserscheinungen vermeidet und zur optimalen Energieausnutzung der eingetragenen Schwingungen führt. Das erwähnte Modell zur Beschreibung der Austraggeschwindigkeit kohäsiver Pulver erlaubt auch, die optimalen Zeiten (Puls-Pause) für den pulsierenden Betrieb zu berechnen. Ergänzend ist dabei eine instationäre Massenbilanz für den Schwingtrichter notwendig.
Diese Ergebnisse können zur Auslegung von Schwingtrichtern genutzt werden. In dem Projekt wurden die methodischen Grundlagen zur verfahrenstechnischen Auslegung und zum praktischen Betrieb von Schwingtrichtern am Beispiel des Calcit MX10-Stoffsystems erarbeitet. Um die Anwendbarkeit auf beliebige kohäsive Produkte zu prüfen, müssen weitere Stoffsysteme untersucht werden. Das methodische Projektziel wurde erreicht.
Forschungsstelle: Prof. J. Tomas, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg
Laufzeit: 01.09.2006-31.10.2008
Betreut durch: AK 4